Besuch des Holocaustüberlebenden Ivar Buterfas-Frankenthal


Am 29.9. um 10 Uhr fanden sich mehr als 300 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums
Ulricianum Aurich mit ihren Klassen- bzw. Fachlehrern im Auricher Kino ein und warteten
gespannt auf den Beginn einer Veranstaltung der ganz besonderen Art. Bereits zum zweiten Mal
durften Bürgermeister Horst Feddermann, Landschaftspräsident Rico Mecklenburg, Schulleiter
Rüdiger Musolf sowie Fachlehrer Daniel Künzel einen der letzten Holocaustüberlebenden, Herrn
Ivar Buterfas-Frankenthal und dessen Frau Dagmar, die bereits ein Jahr vor dem Beginn der
Pandemie 2019 am ehemaligen Standort der Auricher „Bullenhalle“ zu Gast waren, herzlich
willkommen heißen.
Künzel, der die Veranstaltung federführend organisierte, betonte den Schülerinnen und Schülern
gegenüber, dass es bei diesem Vortrag keinesfalls nur darum gehe, Infos zu erhalten, sondern die
Zuhörer durch die heutige Veranstaltung einen wichtigen und verantwortungsvollen lebenslangen
Auftrag bekämen: „Erzählt das, was ihr heute erfahrt, nicht nur heute Nachmittag euren Familien
und Freunden, sondern berichtet auch später euren Kindern und Enkeln davon, dass ihr das leider
vergängliche Privileg hattet, einem der letzten Holocaustüberlebenden zuhören zu dürfen.“
Anschließend erwähnte Herr Buterfas-Frankenthal, der am 16.1.1933 in Hamburg geboren wurde,
zunächst, dass er sich freue, ein weiteres Mal in Aurich sein zu dürfen und betonte die historische
Bedeutung des Veranstaltungsortes, der ihn stets an den sogenannten Reichspogrom am 9.11.1938
erinnere, da in der „Bullenhalle“ zahlreiche gewalttätige Ausschreitungen gegen die jüdische
Minderheit Aurichs stattfanden. Gemäß der von den Nationalsozialisten durch die Nürnberger
Rassegesetze 1935 eingeführte Arithmetik galt er als Sohn eines jüdischen Vaters und einer
christlichen Mutter als sogenannter „Halbjude“, und war infolgedessen weitreichenden
Diskriminierungen ausgesetzt.
Ein Erlebnis, das er als Sechsjähriger ertragen musste, lässt ihn bis heute jede Nacht wach werden.
Der in SA-Uniform gekleidete stellvertretende Schulleiter der Grundschule Hamburg-Horn brüllte
beim morgendlichen Fahnenappell: „Buterfas, tritt einmal hervor. Du darfst nicht mit auf
Klassenfahrt. Pack deine Sachen, du kleine Judensau, und verschwinde von hier, du sollst unsere
Luft nicht mehr verpesten!“ Als Buterfas, der mit dem Begriff „Jude“ zu diesem Zeitpunkt
überhaupt nichts anfangen konnte, völlig verstört das Schulgelände verließ, skandierten die
anwesenden Pimpfe und Jungmädels: „Jude!, Jude, Jude!“. Mehrere Hitlerjungen verfolgten ihn,
zogen ihm die Hose herunter, brannten ihm mit einer Zigarette ein Loch in den Oberschenkel und
wollten den „Juden“ anschließend nach dem Entfachen eines Feuers auf einem Eisengitter „rösten“.
Passanten, die die lauten Schreie des Erstklässlers hörten, beendeten schließlich diesen brutalen Akt
der Misshandlung. Der heute 89-jährige Buterfas-Frankenthal gesteht den Zuhörern: „Das verfolgt
mich, die Dämonen kehren jede Nacht zurück, ich sehe sie auf mich zukommen, ich fühle, wie sie
mich quälen.“
Ivar Buterfas-Frankenthal, Träger des Verdienstordens Erster Klasse der BRD (2020) sowie des
Weltfriedenspreises (1995), überlebte als jüngster Sohn einer Großfamilie den Holocaust. Viele
seiner Familienmitglieder wurden in den Vernichtungslagern des Deutschen Reichs getötet. Nach
einer langen Zeit der Flucht und des Versteckens, um der Deportation zu entgehen, musste er sich
auch nach der Gründung der BRD darum bemühen, seine deutsche Staatsangehörigkeit zurück zu
erhalten, auch in der Schule wurde er, ebenso seine Geschwister, aufgrund seines „jüdischen“
Nachnamens noch nach dem Ende des Krieges angefeindet und diskriminiert.
Über seine Biografie hat er in den letzten 30 Jahren im Rahmen von beinahe 1600 Veranstaltungenan Schulen und Universitäten berichtet.


Der Referent stellt am Ende der Veranstaltung sein neuestes Projekt vor: In Kooperation mit dem
niedersächsischen Innenminister Pistorius wird eine Kooperation mit der niedersächsischen Polizei
fokussiert, da sich die deutsche Polizei während der Jahre 1933-45 auf Befehl des sogenannten
„Reichsführers SS“ Heinrich Himmler an zahlreichen Verbrechen beteiligt hat. Viele Angehörige
der berüchtigten Einsatzgruppen, die im Rücken der Front an Massenerschießungen v.a. der
osteuropäischen Juden beteiligt waren, waren Polizisten, deren „Säuberungsaktionen“ bis etwa
Ende 1941 mehr als eine Million Menschen zum Opfer fielen. Nach der Berliner
„Wannseekonferenz“ am 20. Januar 1942 begann in den Vernichtungslagern auf dem Terrain des
damaligen „Generalgouvernements“ die industrielle Eliminierung von Juden, Sinti und Roma,
Oppositionellen, religiösen Nonkonformisten u.a..
Als Erinnerung an die länger als zwei Stunden dauernde Veranstaltung bekamen die Schülerinnen
und Schüler ein Faksimile des so genannten „Fremdenpasses“, den Buterfas nach der Entziehung
der deutschen Staatsbürgerschaft durch die Nationalsozialisten erhielt. Er urteilte, dass dies „nach
dem Judenstern die zweite Diskriminierung“ gewesen sei, die er erfahren habe.


Im Anschluss an seinen Vortrag stellte er sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler, die von
dieser Möglichkeit reichlich Gebrauch machten. Am Ende der Veranstaltung wurde dem Referenten mit Standing-Ovations und langem Applaus gedankt. Sicherlich wird dieser Vortrag uns allen in sehr langer Erinnerung bleiben.
D. Künzel, StR

Fotos: Filmteam Ulricianum

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